Im Rahmen der „Coach-Interviews“ kommen eine Vielzahl interessanter, außergewöhnlicher und herausragender Coaches zu Wort, die Einblick in ihre Coaching-Arbeit gewähren.
Heute spricht CoachingTrip mit Christian Zottl. Christian Zottl ist ausgebildeter systemischer Coach, Supervisor und Organisationsberater. Er unterstützt sowohl Privatpersonen bei grundlegenden Lebensfragen als auch Führungskräfte bei Herausforderungen innerhalb dynamischer und komplexer Unternehmensanforderungen. Das Besondere dabei: Er ist auch UIMLA Bergwanderführer, seine Coachings finden in den Bergen statt und das alpine Umfeld wird gezielt in das Coaching integriert.
Schon in jungen Jahren wusste Christian Zottl, dass er mehr sein will, als das, was er studiert hat. Diese Haltung kommt in der Diversität seiner Interessen und beruflichen Tätigkeiten zum Ausdruck. Denn wenn man sich über sein Coaching-Bild informiert und sich seine Biografie genauer anschaut, stellt man fest, dass seine akademische und berufliche Laufbahn äußerst vielschichtig ist, jedoch einen gemeinsamen Nenner hat: Menschen in bestimmten Lebensphasen zu begleiten und die persönliche Entwicklung zu fördern.
Hallo Christian, danke, dass Du Dir die Zeit für ein kurzes Interview nimmst. Lass uns zu Beginn Deinen Hintergrund etwas durchleuchten. Du hast Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Dialogische Qualitätsentwicklung und Kinderschutz studiert und wurdest von Deiner Hochschule mit dem Alice Salomon Preis für die innovativste Diplomarbeit des Jahrgangs ausgezeichnet. Worum ging es in Deiner Diplomarbeit und wieso hast Du Dich diesem Thema gewidmet?
Zu dieser Zeit gab es zwei sehr aktuelle Themen. Von der Allgemeinheit eher weniger wahrgenommen, wurden seit den 90’er Jahren u.a. aufgrund ökonomischer Zwänge, in der sozialen Arbeit (Qualitäts-) Managementmodelle aus der Wirtschaft und Industrie übernommen. Oft mit zweifelhaftem Erfolg.
Hier stellte sich die drängende Frage, wie das besser gelingen konnte. Gleichzeitig waren die Medien voll von teils sehr tragisch verlaufenen und wirklich erschütternden Kinderschutzfällen, die nicht selten mit dem Tod der Kinder endeten. Ein sehr bekannter Fall zu der Zeit war Kevin (2) in Bremen, der tot in der Tiefkühltruhe seines Ziehvaters aufgefunden wurde, obwohl die Familie vom Jugendamt unterstützt und beobachtet wurde.
Kurz zuvor hatte ich mich auch in einem EU-Entwicklungsprojekt als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Österreich mit dem Thema Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe beschäftigt. Zusammen mit meinen damaligen Professor Reinhard Wolf an der ASH Berlin, der sowohl in dialogischer Qualitätsentwicklung als auch im Kinderschutz ein Vordenker und ausgewiesener Experte ist, habe ich dann das Thema für meine Diplomarbeit ausgearbeitet. „Risikomanagement und Qualitätsentwicklung in der Sozialen Arbeit“ mit Schwerpunkt auf den Kinderschutz.
Im Kern ging es um die sinnvolle Übertragung von Ansätzen des Risikomanagements sowie der Qualitäts- und Organisationsentwicklung von Institutionen, die täglich mit sehr hohen Risiken zu tun haben, wie Flugzeugträger, Atomkraftwerken oder Notaufnahmen in Kliniken. Gleichzeit habe ich den Fall „Kevin“ analysiert und praxisnahe Vorschläge für Rahmenbedingungen im Kinderschutz entwickelt, die seinen Tod hätten verhindern können. Ich hatte ehrlich gesagt nicht mit der Alice-Salomon-Auszeichnung gerechnet. Umso schöner war es dann, für meine Arbeit diese Ehrung und Wertschätzung zu bekommen.
Auch wenn noch einige Auszeichnungen, u.a. als Geschäftsführer der Deutschen Angst-Hilfe e.V. von Angela Merkel im Bundeskanzleramt, folgen sollten, war das ein ganz besonderer Moment in meiner Laufbahn. Bis heute bin ich meinem Professor Reinhard Wolf von Herzen dankbar, insbesondere für seine inspirierende Art zu denken, für seinen Rückhalt und sein Vertrauen in mich. Ich habe damals gelernt: In bestimmten Phasen des Lebens ist es wichtig einen guten Mentor zu haben.
Das Studium der Sozialpädagogik (und zahlreiche Zwischenstationen, auf die wir später eingehen werden) bildet die Grundlage Deines jetzigen Berufs. Du bist professioneller Coach und Organisationsberater und unterstützt Menschen bei grundlegenden Fragen sowohl im privaten als auch beruflichen Kontext. Aber nicht nur Menschen – auch die Bergwelt fasziniert Dich. Diese Faszination vereinst Du auch in Deinem Berufsleben, denn Du bietest unter anderem Coaching-Wanderungen im Montafon an und schaffst es somit beide Leidenschaften miteinander zu verbinden. Wie kamst Du auf die Idee Deinen Arbeitsplatz in die Natur zu verlagern und Coachings im Rahmen von Bergwanderungen anzubieten?
Das ist tatsächlich sehr einfach zu beantworten, weil es schlicht so naheliegend ist. Die Berge sind ein Ort der Kraft, der Ruhe, der Erholung, aber auch der vielfältigen Eindrücke und Herausforderungen. So kann man sich einerseits vom oftmals kräftezehrenden und hektischen Alltag erholen (die Stress-reduzierende und gesundheitsfördernde Wirkung von Wandern ist wissenschaftlich belegt) und gleichzeitig die unzähligen Analogien, die man beim Wandern und Bergsteigen findet, thematisch für das Coaching nutzen.
Nur ein paar Beispiele: Wir machen uns auf den Weg. Okay. Wo wollen wir hin? Warum wollen wir da hin? Was sind die Besonderheiten unseres Ziels? Was sind unsere Besonderheiten, die wir beachten sollten? Was liegt auf dem Weg und wie wollen wir diesen gestalten? Haben wir genügen Zeit und Informationen für eine gute Planung? Wie gehen wir mit ungewissen Faktoren und Risiken um? Wie fühlt es sich dann an auf dem Weg zu sein? Was kommt ganz unerwartet daher? Wie gehen wir mit möglichen Planänderungen um? Wie sind wir als Gruppe unterwegs und wie gehen wir miteinander um? Wo komme ich an meine Grenzen? Wo die Gruppe? Ist das Ziel wirklich das Ziel? Wie geht es danach weiter?
Man kann es endlos weiterführen und es wird von Menschen zu Mensch, von Thema zu Thema und von Situation zu Situation immer neue Analogien geben, die uns Hinweise geben, wie wir mit diesen Fragen in unserem Alltag umgehen. Und genau darin steckt das große Potenzial, nicht nur die Erholung, sondern auch unschätzbar wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse über sich selbst aus den Bergen mit nach Hause zu nehmen.
Damit hier aber kein falscher Eindruck entsteht. Ich renne mit meinen Kunden nicht mit einem dicken Fragebogen durch die Landschaft und frage ihnen Löcher in den Bauch. Ganz im Gegenteil! Wir genießen die meiste Zeit das Bergerlebnis. Natürlich ist das Wandern auch anstrengend. Aber die körperliche Bewegung an der frischen Luft, das Einsaugen der Landschaft, das Durchatmen in der Natur, sind die beste Basis für die geistige und seelische Bewegung, die das Coaching anstoßen möchte. Das passiert dann tatsächlich ganz beiläufig, in Gesprächen, in der Introspektion sowie angeregt durch ausgewählte systemische Methoden und Übungen, die ich je nach Auftrag in die Routenplanung mit einbinde. Wie so oft im Leben braucht es hier den richtigen Flow. Auch das eine Erfahrung, die man gut mit nach Hause nehmen kann.
Welche Vorteile bietet Deiner Meinung nach ein Wander-Coaching-Format im Vergleich zu einem klassischen Coaching?
Wie eben beschrieben, die unschlagbare Kombination aus Erholung, Erlebnis und Erkenntnis. Außerdem hat man beim Wandercoaching deutlich mehr Zeit, als bei einem klassischen Coaching. Wir verbringen beim Wandern mindestens einen halben Tag oder wie bei den Angeboten auf CoachingTrip sogar mehrere Tage gemeinsam. Das ist einfach eine sehr intensive Zeit und Erfahrung und die bleibt auch deutlich länger in Erinnerung. Dadurch wirkt das Wandercoaching aus meiner Sicht auch deutlich nachhaltiger als ein klassisches Coaching.
Und wie sieht so ein typischer Wandercoaching-Tag für Dich und Deine Teilnehmer aus?
Jedes Coaching beginnt (meist schon im Vorfeld) mit einer Auftragsklärung. Anhand derer ich mein methodisches Vorgehen und den Ablauf plane und gestalte. Insofern ist jedes Coaching anders, denn jede/r Kunde/in kommt mit einem individuellen Anliegen. Außerdem ist jede Wanderung anders, selbst wenn es immer derselbe Weg sein sollte. Das Wetter, die Natur, die Stimmung ist immer etwas unterschiedlich. Mir gefällt das ganz besonders, diese Einzigartigkeit jedes Wander-Coachings.
Wie läuft so ein Tag ab? Anfangs wird die Route mit den Kunden genau besprochen, die Rahmenbedingungen nochmals geklärt, Informationen zur Gegend und ein paar exklusive Utensilien mitgegeben. Auf dem Weg gibt es dann verschiedene Stationen, die mit besonderen Plätzen oder mit Pausen auf der Wanderung kombiniert werden. Hier können ausgewählte Übungen zum Einsatz kommen, um das Thema der Kunden zu beleuchten. Auf dem Weg bleibt viel Zeit für Ruhe, Gespräch und gezielten Austausch. Natürlich gehört auch eine gemütliche Einkehr oder zumindest eine gescheite Brotzeit mit dazu, ein schöner Ausblick und heiles Ankommen im Tal. Bei Mehrtagestouren kommen noch die Hüttenübernachtungen als eigenes tolles Erlebnis und Ort für weiteren Austausch dazu. Jede/r Kunde/in kommt am Ende mit etwas Handfestem nach Hause, das ihm/ihr noch lange die Erkenntnisse aus dem Coaching sichern und zu weiteren Entwicklungen beitragen soll.
Neben der Yoga-Coaching-Wanderung im Montafon bietest Du einen 6-tägigen Coaching-Walk auf Mallorca an. Was genau verbirgt sich hinter dieser Coaching-Reise?
Das Tramuntana Gebirge auf Mallorca hat einen ganz besonderen Charme und Reiz. Wer einmal dort war, weiß sofort was ich meine. Diese einerseits karge, felsige und trockene Landschaft, die andererseits üppige Vegetation mit uralten Olivenbäumen und Macchia, die verwinkelten Pfade, die sehnsüchtigen Blicke auf’s Meer, die einsamen Schaf- und Ziegenherden, die schlichten aber sehr gastfreundlichen Unterkünfte, die mediterrane KÜCHE (!), die historischen Gebäude (wie die Schneehäuser oder Klöster) und Artefakte auf dem Weg, die Geschichten die sich um die Insel ranken, die gemütlichen Esel am Weg und als großes Finale, das Ankommen am Meer. Das alles rahmt diese Woche auf besondere Weise und der Kulturwechsel schafft zusätzliche Chancen auf produktive Perspektivwechsel im Coaching. Der Mallorca-Walk ist für mich, neben meiner großen Liebe zu den Alpen, ein absolutes Highlight.
Nun zu Deinen beruflichen Zwischenstationen: 2009 warst in der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe tätig. Wie eng ist dieser Beruf mit deiner jetzigen Tätigkeit als Coach für Erwachsene verknüpft? Gibt es Parallelen?
Eigentlich gibt es keine direkte Verbindung, außer die grundsätzliche Erfahrung in der Arbeit mit Menschen und die systemische und ressourcenorientierte Haltung, die ich mir damals verinnerlicht habe. Und ja, natürlich haben manche Kunden auch familiäre Themen über die sie sprechen möchten. Da helfen natürlich die berufliche Expertise und meine eigenen Erfahrungen als Ehemann und Vater von vier Kindern.
Darüber hinaus bist Du seit 2014 der Geschäftsführer des Deutschen Angst-Hilfe e.V. Der Verein kümmert sich unter der Schirmherrschaft von Kletter- und Bergsteigerlegende Alexander Huber um Menschen mit Angststörungen. Welche Rolle spielt diese Station in Deinen Coachings?
Angst betrifft jeden Menschen und damit auch jede Familie, jede Organisation und jedes Unternehmen. Trotzdem ist Angst nach wie vor ein Tabuthema und wird in ihrem positiven Potential maßlos unterschätzt. Natürlich kann Angst uns im Leben auch sehr einschränken, ja, das Leben zur Hölle machen. Nicht nur Menschen mit einer Angststörung wissen sehr gut, wovon ich spreche. Aber gerade, wenn es uns (allen) gelingt, einen konstruktiven und gesunden Umgang mit Angst zu praktizieren, dann können wir ihre Kraft für unsere Entwicklung nutzen. Wie unser Schirmherr Alexander Huber sagt: „Lerne mit der Angst zu leben und Du wirst daran wachsen!“ Dafür macht es Sinn, sich mit ihr auseinanderzusetzen, anstatt sie zu leugnen oder zu verheimlichen. Der offene Austausch darüber ist der erste Schritt zum Erfolg. Und das gilt nicht nur für Menschen mit einer Angststörung, sondern für jeden von uns. Ich arbeite in meinen Coachings mit dem, was mir die Kunden anbieten. Im Umkehrschluss heißt das, ich dränge das Thema Angst niemanden auf. Aber es kann erfahrungsgemäß sowohl im Einzel-Coaching, als auch in der Organisationsberatung zu einem wichtigen Thema werden.
Der Slogan der Angst-Hilfe e.V. lautet „Angst ist eine Chance“. Kann denn Angst auch im Coaching als Chance nutzbar gemacht werden?
Definitiv. Indem wir uns mit unseren Ängsten beschäftigen, können wir sehr viel über uns, über das was uns wichtig ist und über das was wir wollen oder eben nicht wollen lernen. In der Angst liegt sehr viel Kraft und Dynamik. Viele Menschen erleben diese meist als unangenehm und Belastung. Ein Grund für das schlechte Image von Angst. Doch wenn wir lernen sie besser zu verstehen und nicht mehr gegen sie ankämpfen, können wir ihre Energie sogar zum Erreichen unserer Ziele nutzen. Deshalb ist Angst – wenn wir lernen mit ihr aktiv und konstruktiv umzugehen – auf jeden Fall eine große Chance für positive Veränderungen!
Jetzt begleitest Du schon seit mehr als 10 Jahren Menschen in unterschiedlichen Altersstufen, Lebens- und Berufsphasen, teilweise auch in schwierigen Angstsituationen. Was ist Deiner Meinung nach der befriedigendste Teil Deiner Arbeit und umgekehrt gefragt: Was ist die größte Herausforderung?
Jeder Mensch ist einzigartig! So wie jede Wanderung und jeder Berg mir neue Erlebnisse, wertvolle Eindrücke und Erinnerungen schenkt, so ist auch jede Begegnung mit Menschen eine neue Erfahrung und zwar für beide Seiten. Nicht nur der/die Kunde/in geht danach hoffentlich beseelt und zufrieden nach Hause, sondern auch ich erinnere mich oft sehr lange und sehr gerne an die gemeinsamen Erlebnisse. Manchmal entstehen daraus auch langfristige Beziehungen, in Form von Stammkunden bis hin zu echten Freundschaften. Auch das gab es schon.
So wie jeder Mensch, ist auch jede Begegnung einzigartig, und Bergsteigen verbindet uns auf eine ganz besondere Weise.
Und wie das Bergsteigen seine vielseitigen Herausforderungen mit sich bringt, so kennen wir diese auch im Umgang mit Menschen. In beiden Fällen hilft mir fundierte Expertise und eine professionelle Haltung, aber auch die persönliche Erfahrung, gesunder Menschenverstand, gutes Bauchgefühl und letztlich ein großes Herz. Außerdem mein Leitsatz: In der Ruhe liegt die Kraft!
Abschließend noch eine Frage zu Deiner Person. Was ist Dir besonders wichtig beim Coaching mit Deinen Klienten? Was möchtest Du vermitteln/erzielen?
Als Bergwanderführer möchte ich die Begeisterung für die Berge vermitteln und meine Kunden lustvoll und sicher durch die Berge begleiten. Als Coach geht es nicht um meine Ziele, sondern um die der Kunden. Hier gestalte und begleite ich den Prozess, der die Kunden sich und ihren Zielen näherbringt. Das besondere Erlebnis soll ihnen möglichst lange positiv in Erinnerung bleiben, auch dadurch bleiben Erkenntnisse im Gedächtnis präsent und eine nachhaltige Veränderungsperspektive wird dadurch möglich. Persönlich freue ich mich darüber, wenn meine Kunden eine Bereicherung für’s Leben mitnehmen können und mir zum Teil nach Jahren Rückmeldung geben, dass sie diesem Coaching eine positive Wendung in ihrem Leben zuschreiben. Da geht einem natürlich das Herz auf.